Originalentwurf, 1972

Polo

Teil 5

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Hallo, mein Name ist Ludwig Übele, ich bin selbständiger Schriftentwerfer. Neben meiner eigenen schriftgestalterischen Tätigkeit arbeite ich seit etwa 15 Jahren eng mit Georg Salden zusammen und digitalisiere, erweitere, produziere und vertreibe seine Schriften exklusiv auf meinen Webseiten LudwigType und TypeManufactur.

Heute stelle ich euch Georg Saldens bekannteste und sicher auch einflussreichste Schrift vor: Die Polo. Die Polo entstand 1972 und zählt damit zu Saldens frühen Schriftentwürfen. Trotzdem ist in ihr schon alles enthalten, was seine Schriften ausmachen:
Klarheit, Harmonie und Lesbarkeit.

Und dann ist da noch etwas, was in Georg Saldens Schriften zu finden ist: Sie sind immer neu. Heute erscheinen uns viele Formen der Polo vertraut. Doch zur Zeit ihrer Entstehung war sie in vielerlei Hinsicht etwas völlig neues.

Da ist natürlich das charakteristische g mit der offenen Schleife, das so noch nie vorher in einer serifenlosen Druckschrift zu sehen war. Salden wollte den Buchstaben gar nie ganz öffnen, wie man an den allerersten Entwürfen sehen kann. Zunächst hat er nur versucht, diese komplexe Form aufzuhellen. Und so hat er die Stelle immer mehr verdünnt, bis er an dem Punkt ankam, sie ganz zu öffnen.

Allerdings öffnet er die Schleife nur ganz leicht. Optisch sollte das Auge nämlich die Schleife vervollständigen.
Schriften, die diese Form später kopiert haben, haben die Öffnung meist übertrieben, ohne ihren Sinn zu begreifen.

Und das ist etwas was mich an Saldens Schriftentwürfen am meisten fasziniert: Sie sind immer neu, überraschend, und doch hat jede Formentscheidung seinen Sinn. Nichts ist nur aus purer Spielerei entstanden. Alles hat eine Funktion.

Genauso ist es zum Beispiel mit den oben schräg abgeschnittenen senkrechten Balken. Diese schrägen Balken-Abschlüsse sind keine formale Spielerei, sondern erfüllen eine bestimmte Funktion.

Und das geht so: Die Oberkante der Kleinbuchstaben gehört zu den wichtigsten Bereichen einer Leseschrift. Um optisch gleich hoch zu erscheinen, variieren die Höhen minimal. Runde Formen ragen über die x-Höhe hinaus. Die Querbalken beim f und t, liegen etwas darunter.

Salden sagt nun, dass sich eine schräge Kante diesen unterschiedlichen Höhen viel besser anpassen kann. Sie geht vorne beim Querbalken des f los, und ragt hinten über das z hinaus. Dank der schrägen Kanten fügt sich das alles harmonisch zusammen.

Die Polo folgt in ihrer Konstruktion der humanistischen Antiqua. In diesem Sinn entsprechen die schrägen Köpfe der senkrechten Stämme denen der frühen Antiqua. Die leicht konischen Balken, vor allem in den Großbuchstaben, simulieren die sympathischen Verfettungen des Buchdrucks in den inneren Ecken und verleihen der Schrift einen organischen und lebendigen Charakter.
Sie verweisen auch noch auf etwas anderes, worin Georg Salden ja bekanntlich auch ein Meister war: auf mit der Feder geschriebene Schriftformen.

Auch die Ziffern der Polo sind bemerkenswert, es sind gleichhohe Ziffern mit sehr kleinen Ober- und Unterlängen, um sich besser ins Textbild einzufügen. Georg Salden meint, an den Ziffern einer Schrift kann man die Fähigkeiten eines Schriftentwerfers am besten erkennen, weil er meistens weniger geübt darin ist, Ziffern zu zeichnen.

1989 fertigt Georg Salden erstmals digitale Fonts der Polo an, und er beschließt, verschiedene Versionen für verschiedene Größen zu erstellen. Im Bleisatz war es noch selbstverständlich, dass jede Schriftgröße unterschiedlich gezeichnet wurde, je nachdem, wie die der jeweiligen Größe günstigste Form und Laufweite war. Im digitalen Bereich erscheint mir Georg Salden der erste, der dies machte.

Zunächst erstellte er 2 Versionen: Polo 11 für kleine Schriftgrößen und Polo 22 für größere Schriftgrade. Polo 11 hat Einkerbungen an spitzen Innenecken und Verstärkungen an spitzen Außenecken. Dadurch bleiben Buchstaben in kleinen Schriftgrößen schärfer und deutlicher. Auf ungestrichenem Papier oder bei schlechter Druckqualität wird das Zulaufen mit Druckfarbe verhindert. Die Buchstaben der Polo 22 hingegen sind innen und außen glatt. Bei Anwendung in größeren Schriftgraden sind sie eleganter als Polo 11. Später kommt noch Polo 66 für Headlines hinzu. Sie ist geringfügig leichter gezeichnet und läuft etwas schmaler. Sie kann für große Schriftgrößen oder raumsparend bei schmalen Satzspiegeln verwendet werden. Sie besitzt echte Mediävalziffern mit Ober- und Unterlängen.

Die Polo ist mit fast 80 Schriftschnitten Georg Saldens umfangreichste Schriftfamilie. Das mag heutzutage als nicht besonders gewaltig erscheinen. Doch man muss bedenken, Georg Salden hat ja jeden Schriftschnitt, jeden einzelnen Buchstaben mit der Hand gezeichnet. Und selbst später, als er am Computer arbeitete, hat er zwar durchaus die Interpolationsmöglichkeiten des Rechners genutzt, aber jeden einzelnen Schriftschnitt immer noch nachträglich überarbeitet. Er sagt, jeder Schriftschnitt braucht eine bestimmte Frische, einen Pepp, den die Hochrechnung des Computers nicht automatisch erzeugt. Er sagt, dass die Schriftschnitte wie Geschwister zueinander stehen würden, d.h. dass sie zwar zur gleichen Familie gehören, aber trotzdem jede ihre Eigenheiten behalten muss.

Skeptisch steht Georg Salden übrigens auch sogenannten Schriftsippen gegenüber, also Familien, die aus unterschiedlichen Stilen wie Serifenschriften, Serifenlosen, Serifenbetonten usw. bestehen. Er glaubt, dass sich eine Formensprache nicht einfach auf eine andere Schriftart übertragen lässt. Nichtsdestotrotz hat Salden versucht, zu seiner Polo eine Serifenschrift zu gestalten. Er hat sie dann allerdings nicht Polo Serif genannt, sondern ihr einen eigenen Namen gegeben. Sie heißt Kant, wurde aber nie veröffentlich. Sie ist eine der Entwürfe, die noch darauf warten, von mir fertig gestellt zu werden.

Georg Salden sagt, er wollte mit der Polo, die »sachliche Ausstrahlung einer Grotesk mit dem harmonischen Lesefluss einer Antiqua verbinden«. Das ist ihm mit Bravur gelungen. Die Polo ist eine lebendige, und vor allem eine äußerst lesbare Serifenlose. Georg Saldens Schriften sitzen einfach, und das beobachte ich insbesondere bei seiner Polo.
Er hat einmal gesagt, sein Ziel sei es, Alphabete zu entwickeln, die ein Äquivalent zu den historischen Schriften darzustellen vermögen. Er sagte, dass er versucht, endgültige Formen zu erarbeiten, die vielleicht auch noch in 50 oder 100 Jahren repräsentativ sein können.

Nach nunmehr 50 Jahren erscheint die Polo immer noch jung und frisch. Daran erkennt man einen wahren Klassiker: Wenn er die Zeit mit all ihren Moden überdauert und immer noch seine Funktion perfekt erfüllt.

Ludwig Übele wurde 1974 in Memmingen geboren. Nach dem Grafikdesign-Studium in Deutschland und Finnland arbeitete er in verschiedenen Designagenturen. 2007 schloss er das Postgraduierten-Studium im Kurs TypeMedia an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Den Haag (KABK) ab und gründete seine eigene Schriftschmiede. Seit 2008 betreut er nun auch die digitale Schriftbibliothek Georg Saldens, die Typemanufactur. Er ist ausgesprochener Georg Salden Spezialist.

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