Daphne

Teil 3

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Hallo, mein Name ist Petra Rüth. Ich wohne in Berlin und arbeite als Typografin, Schriftforscherin, Type Desigerin und Kalligrafin. Zur Zeit bin ich Meisterschülerin bei Professor Fred Smeijers an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dabei widme ich mich Christian Gottlob Roßberg, dessen Schriftfamilie aus Fraktur, Kanzlei und Kurrent ich in die digitale Welt überführe.

Heute stelle ich euch meine Lieblingsschrift aus dem Repertoire von Georg Salden vor: die Daphne. Sie wurde von Georg Salden im Jahr 1970 als Display-Schrift für die Firma H. Berthold AG gestaltet. 

Salden wurde Anfang der 1960er Jahre mit der Ausstattung eines Hut-Salons (Steigleder) in Düsseldorf betraut und zeichnete zunächst eine Reihe von Signet-Entwürfen. Als die Entscheidung für die Wortmarke gefallen war, entwarf er weitere Werbemittel – unter anderem auch eine Einladung und Anzeige zur Eröffnung. Für diese Anzeige schrieb er den Text händisch mit einer Breitfeder. Er entwickelte eine geschriebene Schrift mit fetten Stämmen und feinen Haarlinien, die trotz des geschriebenen Ursprungs einen fast konstruktiven Charakter verkörpert. Hierfür hat er die Breitfeder während des Schreibens auf verschiedene Weise gedreht. Insgesamt entstand ein kompaktes Schriftbild mit einem kräftigen Rhythmus. Besonders war die Ausstattung mit Zier- und Schwungbuchstaben bzw. mit angesetzten Schwüngen. Ende der 1960er Jahre zeichnete Georg Salden basierend auf dieser Anzeige eine Satzschrift und bot sie der Firma H. Berthold AG für den Staromaten* an. Günter Gerhard Lange nahm den Entwurf an und betreute ihn als künstlerischer Leiter Bertholds.

*Ein kurzer Ausflug: Der Staromat war ein Fotosatzgerät der Firma Berthold. Er war insbesondere für den Titelsatz gedacht und konnte Buchstaben bis 140 mm Größe belichten. Ein Staromat arbeitete mit Negativ-Film-Streifen von genormter Länge und Höhe, die zwischen zwei Plexiglas-Scheiben eingefasst wurden; für korrekte Buchstaben-abstände musste manuell gesorgt werden. 

Georg Saldens Vorschlag sah einen Staromat-Streifen für das Alphabet und einen einigen Streifen für die Schwünge vor. Die Schwünge waren so ausgerichtet, dass sie an den entsprechenden Stellen beliebig angesetzt werden konnten. Auf diese Weise ergab sich ein komfortables 

Arbeiten und eine hohe Passgenauigkeit, sowie eine breite Variabilität. 

Als künstlerischer Leiter setzte Lange seinen Vorschlag eines zweiten Staromat-Streifens mit weiteren Schwüngen und Buchstabenvarianten durch. In der Praxis erwies sich dies als unpraktisch, da die Setzer*innen mit zwei Streifen arbeiten mussten. Die Staromat-Technologie erlaubte jedoch dem Satz nur einen engen Zeitrahmen, nach dem das Papier nicht mehr zu belichten war, das waren ca. 20 Minuten. Das Auswechseln der Streifen war dann ein unnötiger Zeitverlust. Zudem hatte Berthold die Schwünge auf dem zweiten Streifen nicht nur ungenau, sondern auch völlig falsch platziert – also gespiegelt und verdreht – so dass das Konzept Langes nicht aufging. 

1970 kam die Berthold Daphne dann auf den Markt und wurde als Staromatstreifen vertrieben. Laut Georg Salden gewährte Berthold den Designer*innen einen Anteil von 10 % am Gewinn. Da Berthold feste Lieferverträge mit Firmen hatte, erhielt Georg Salden zu Beginn den Anteil an diesen vorbestimmten Auslieferungen. Danach hielten sich die Einnahmen durch die Daphne laut Salden in Grenzen.

Nichts desto trotz nutzte die Firma die Schrift noch 1980 in Anzeigen zur Eigenwerbung, zum Beispiel im legendären Magazin Upper & Lowercase.

Ich möchte zunächst die geschriebene Daphne veranschaulichen: Sie fällt auf durch ihr geschlossenes, kompaktes Schriftbild und den spielerischen Charakter, welcher hauptsächlich durch die Schwünge erzeugt wird. Trotz des deutlich erkennbaren Schreibduktus wirkt die Schrift fast konstruiert. Der Wechsel von Dick und Dünn, die Ähnlichkeit der Einzelform und die relativ gerade Symmetrie-Achse erzeugen ebenmäßige, fast musterartige Wortbilder. Diese erinnern mich an die ornamentale Wirkung von gebrochenen Schriften. 

Die Schrift ist leicht geneigt. Bemerkenswert ist das dreigeschossige g und die Kursivform des Minuskel-a. Das Minuskel-d wird in der runden Form geschrieben, so, wie man es aus der Fraktur oder der Unziale kennt. Die angesetzten Schwünge haben nicht die gleiche Strichstärke wie der Grundstrich, sondern sind vielleicht halb so dick bzw. variieren in ihrer Breite. Es entsteht ein ungewöhnliches, markantes Schriftbild, was aber durchaus lebendig daherkommt. Es fehlen die Vorlagen für die Minuskelbuchstaben: j, q, v, w, x und y. Von den Majuskelbuchstaben fehlen C, J bis R und T bis Z. Oder andersherum: ABDEFGHI und S sind vorhanden.

Nun möchte ich auf die typografische Daphne eingehen. Der 

Satzentwurf der Daphne wirkt viel stärker konstruiert und kommt noch gleichmäßiger daher. Die Binnenräume sind konsequent geschlossen; die Schwünge weisen explizitere Formen, Tropfen und Fahnen etc. auf. Auch diese Schrift ist leicht geneigt, ich habe in den Versalien 9,5° Neigungswinkel gemessen. Für Minuskel-a und g werden voreingestellt die kursiven Formen verwendet, die doppelstöckigen Varianten sind per OpenType verfügbar – gleiches gilt für das d in der runden Form. 

Georg Salden hat dezente Serifen an den An- und Ausstrichen von zum Beispiel n, m, und u gestaltet. Die Anstriche an den Oberlängen weisen originelle Vertikalserifen auf. Bemerkenswert sind auch die rechteckigen Enden bei g und s. Die x-Höhe ist ungewöhnlich hoch und beträgt im Verhältnis zur Ober- und Unterlänge circa drei zu eins. Die Versalhöhe liegt nur minimal über der x-Höhe. 0,3 Teile.

Die Majuskeln sind im Gegensatz zu den Minuskeln eher konventionell gestaltet und in ihrer Konzeption nach dem Prinzip der SemiSerif-Buchstaben ausgeführt. Im Duktus zeigen sie einen Wechselzug von dicken Abstrichen und dünnen Aufstrichen, zu sehen zum Beispiel bei M, N und V. Links oben sind meist Serifen angesetzt. Übergeordnet würde ich die Buchstaben ebenfalls mit einer konstruierten Formsprache charakterisieren.

Ohne Schwünge wirkt die Daphne fast technoid oder futuristisch. Der Wechsel aus fetten Grundstrichen und dünnen Diagonalformen sowie ihr geschlossener Charakter lassen ein gleichmäßiges Muster entstehen. Der sehr dichte gedrungene Grauwert trotzt auch widrigen Untergründen.

Ludwig Uebele setzte die Schrift für den modernen Satz mit OpenType-Features um. Hierbei erweist er sich als ebenso geschickt, wie seinerzeit Georg Salden. Die Schwünge können mittels »kontextbedingter Varianten« angesteuert werden. Das Sternchen – auch als Asterisk bezeichnet – wird in verschiedener Anzahl genutzt, um unterschiedliche Schwünge erscheinen zu lassen. 

Es existiert zusätzlich eine Schrift namens Daphne Script, die jedoch viel späteren Ursprungs ist – ungefähr von 2011/12 – und formal eigenständig agiert. Ihren Ursprung kann man gleichwohl deutlich nachvollziehen.

Die Daphne ist meine Lieblingsschrift aus dem Repertoire von Georg Salden, aus vielerlei Gründen. Wesentlich beeindruckt mich der kalligrafische Ursprung, der die Schreibweise mit der Breitfeder deutlich zu Tage treten lässt. Die dadurch entstehenden Unterschiede 

in der Strichstärke erzeugen ein spannendes Schriftbild: Die dicken Abstriche wirken stabil und wuchtig, sie stehen in hohem Kontrast zu den dünnen Aufstrichen, die von Salden vermutlich oft mit einer angewinkelten Feder geschrieben wurden und den Buchstaben Anmut und Eleganz verleihen. Diese starke Formensprache in den typografischen Satz zu übertragen ist eine große Leistung.Das entstehende Schriftbild empfinde ich als äußerst rhythmisch, es erscheint mir robust und strapazierfähig – und erinnert mich dabei an die ornamentalen Bänder, die die Möche damals mit ihren Texturen auf Pergamentseiten geschrieben haben. Dabei wirkt die Daphne durch ihre Neigung dynamischer. 

Mein Lieblingsbuchstabe ist das scharfe ß, welches mit einer recht markanten Form daherkommt. In den Entwurfszeichnungen für die technische Umsetzung fand ich es auch noch interessant, den Tropfen bzw. die Fahne des kleinen r vom Stamm getrennt zu sehen. Diesen Ansatz hat Georg Salden allerdings wohl nicht weiter verfolgt.

Das doppelstöckige g finde ich ebenfalls bemerkenswert: Es vereint eine eher rigide Anmutung im Bereich der x-Höhe mit einem weichen und gelungenen Ausschwung in der Unterlänge.

Die ch und ck-Ligaturen sind eine schöne Bereicherung, auch wenn sie vermtulich nicht oft zum Einsatz kommen. Sie erinnern mich an Zeiten, in denen man ch und ck noch als zusammengehörige Einheit betrachtet hat. Im Fraktursatz wurde der gesperrte Satz als typografisches Mittel regelmäßig für Hervorhebungen angewandt, und diese Zeichen klebten dann sozusagen aneinander. Erfreulich, dass die Daphne diese Buchstabenverbindungen anbietet.

Ein Merkmal, welches mir an der Gestaltung weniger gefällt, ist ein Detail am Minuskel-o: Dort befindet sich in der Punze rechts oben eine kleine Ecke, die mich beständig irritiert. Ich würde diese lieber gestaltet sehen analog der Punze des g, also spitz. Gleiches gilt für die obere Punze der Ziffer 8.

Die Daphne existiert in der digitalen Welt in zwei Varianten: Basic und Expert. In der Daphne Basic sind die Abschlüsse an den Ober- und Unterlängen glatt, während sie im Expert-Schnitt speziell geformt sind. Diese kleine Spitze – die Vertikalserife – bestückt die Buchstaben mit einem Detail, was sie für mich prinzipiell spannender macht. UND diese Spitzen dienen auch als Ansatzpunkt für die Zierschwünge, die man optional anfügen kann. Ich würde die zierenden Elemente aber nur für kurze Textpassagen oder Headlines verwenden – und dabei möglichst sparsam einsetzen, damit sie ihren Reiz nicht verlieren. 

Das Schriftbild der Daphne fasziniert mich durch einen ihr immanenten Gegensatz: Auf der einen Seite ist das ihre Wurzel – sie kommt aus der traditionellen Breitfeder-Kalligrafie – das zeigt sich in ihren Strichstärkenkontrasten. Auf der anderen Seite ist es die technisch-konstruierte Form, die futuristisch anmutet und einen prägenden Eindruck hinterlässt. Ich würde sie deshalb mit einem Vexierbild vergleichen: Es tritt das in den Vordergrund, auf was man sich gerade konzentriert. 

Somit bewahrt die Daphne auch nach dieser intensiven Auseinandersetzung für mich ein spielerisches Geheimnis –– und macht sie dadurch umso spannender. Eine wahrlich außergewöhnliche Schrift.

Die Daphne verfügt über nur einen Schnitt und enthält den west- und osteuropäischen Zeichensatz. Die Expert-Variante ist mit ausgiebigen OpenType-Features ausgestattet. Sie kostet als Einzel- Arbeitsplatz- Lizenz 95 Euro.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Autor:in
Petra Rüth

Petra Rüth (*1979) lebt in Berlin und arbeitet als Forscherin, Type Designerin und Kalligrafin mit einem Schwerpunkt auf geschriebener Schrift. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt als Meisterschülerin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig unter Professor Fred Smeijers widmet sie sich einer Schriftfamilie aus dem späten 18. Jahrhundert, bestehend aus Fraktur, Kanzlei und Kurrent.

Web: www.manufraktur.petrarueth.de

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