Brasil Originalentwurf

Brasil

Teil 7

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Hi, mein Name ist Anneke Niehues und ich studiere Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste. Heute stelle ich Euch meine Lieblingsschrift »Brasil« von Georg Salden vor.

Die Brasil wurde von Georg Salden im Jahr 1973 für den Titelsatz gestaltet und in den 80er Jahren für den Mengensatz ausgebaut. Sie verbindet Merkmale einer Grotesk und einer Antiqua. Salden entwarf sie exklusiv für den GST-Kreis, einen Zusammenschluss von Layoutsetzereien in zunächst ganz Deutschland, später weltweit, der sich Anfang der  70er Jahre gründete und bis in die 90er Jahre bestand.

Die TypeManufactur, die einige von Georg Saldens Satzschriften heute vertreibt, sagt über die Brasil:

Beim Entwurf der Brasil griff Georg Salden auf kalligrafische Erfahrungen zurück. Allerdings verzichtete er auf den starken Fettenkontrast der geschriebenen Kurven und deren schrägen Achsen. Obwohl Brasil den Serifenlosen zuzuordnen ist, entsprechen Balkenkontrast und Bewegung völlig einer echten Antiqua. Aufgrund ihrer größeren Linearität steht sie den Groteskschriften zweifellos näher. Bezeichnend für den Grotesk-Charakter sind beispielsweise das gemeine g und u.

Brasil betont alle Ecken und Spitzen durch konkave Balkenabschlüsse, die waagrechten Balken durch gewölbte Außenlinien. Die Senkrechten sind nicht gleichmäßig „tailliert“, sondern im Mittelteil gerade. Auch innen bleiben sie zum Winkel hin gerade. Die Einläufe der Gemeinen h, m usw. sind gerundet, die Innenräume von B, D usw. nähern sich damit dem Oval an. Die Kopfabschlüsse sind gewichtiger als die Abschlüsse der Buchstabenfüße. Die schrägen Abschlüsse der Oberlängen schließen gut an Versaloberkanten an und vermindern gleichzeitig die Betonung des Raumes oberhalb des eigentlichen Schriftbandes der Gemeinen. Alle spitzen Innenräume sind mit Einstichen geöffnet, sodass sie beim Druck in kleinen Schriftgraden nicht zulaufen. Brasil besitzt eine große x-Höhe. Ihre Ungebundenheit beweist die Schrift im Zusammengehen der gegensätzlichen a-, g-, ß- und u-Formen. Die Versalien stehen überzeugend und zeigen mit schmalen T, N und O, jedoch relativ breiten B und S unorthodoxe Proportionen. Die runden Formen der Interpunktionen bilden einen reizvollen Gegensatz zu den geschärften Balkenendungen.

Zur Typik der Brasil gehört ein Anschwellen der Rundungen an einzelnen Buchstabenpartien, beispielweise bei den Halbrunden Versalien B, D, P und R, bei U und u, bei den rechten Senkrechten von h, m und n, vor den Kurven des f und t, und im Unterlängenbereich von J, j, g und y. Alle anderen Rundungen werden zur Waagrechten hin „gleichmäßig“ dünner. Die Endungen tragen, soweit sie frei auslaufen, oben senkrecht und unten schräg geschnittene kräftige Abschlüsse. Dabei sind die feinen Spitzen gebrochen. K, k und R münden in der Mitte waagrecht ein. Außergewöhnlich ist das ß, das trotz seines bewegten Ablaufs nicht an seine Herkunft aus der Fraktur erinnert.

Alle Schriftschnitte sind für sich entwickelt und nicht interpoliert. Ein Vergleich der Kopfkurven in den einzelnen Schnitten macht ihre Selbständigkeit deutlich. Was eine „Leichte“ an Schwung in den Großformen zulässt, muss eine „Fette“ durch andere Formbewegungen kompensieren. Der halbfette Schnitt ist besonders eng zugerichtet. Mit der Buch und der Kräftig stehen wahlweise zwei Textschriften zur Verfügung. Die Kursiven, die ihren Schreibcharakter nicht verbergen, stehen der Antiqua näher als die geraden Schnitte. Das ist bei den An- und Abgängen von A und E deutlich zu erkennen. Die Großbuchstaben beziehen aus diesen Elementen ihre Verwandtschaft zu den Gemeinen. Vorzugsweise mit mediaevalen Ziffern zu setzen, sind die Kursiven auch für längere Texte bestens geeignet. Gerade poetische Literatur wirkt ausdrucksstark. Die kursiven Schriftschnitte Extraleicht, Leicht und Buch enthalten zusätzlich Alternativbuchstaben mit ausladenden Schwüngen. Die reich ausgebaute Schrift, von extraleicht bis fett, wirkt im kleingradigen Fließtext sachlich und präzise. In großen Größen zeigt sie ihre Ornamentik.

Nun zur Beschreibung der Schrift und ihrer Historie:

Die Brasil ist eine serifenlose Schrift. Sie ähnelt der Optima von Hermann Zapf, denn beide Schriften verbinden die Merkmale von Grotesk und Antiqua und sind dadurch anspruchsvoll in der Klassifikation. Durch ausdrucksvolle Kurvenabläufe und Betonung der senkrechten Abschlüsse ist die Zeilenbildung der Brasil geschlossener als bei reinen Sansserif-Schriften. Dies wird besonders bei der Kursiven deutlich. 

Ihre Binnenräume sind nicht ganz geöffnet und doch deutlich ausgeprägt. Sie besitzt ein zweigeschossiges »g« und »a«. Der Glyphenbreitenkontrast ist leicht ausgeprägt — ebenso der Strichstärkenkontrast, der sich in der „Tailliertheit“ der Schrift äußert und für ihr markantes Bild steht. Daher wirkt die Schrift sehr stabil und einheitlich im Satz. Dazu trägt auch die hohe x-Höhe bei. 

Die Einzelformen sind sehr charakteristisch für den jeweiligen Buchstaben und so entstehen — trotz der formalen Einheit — markante Wortbilder. Den Formen liegen funktionale Überlegungen zu Grunde. Sie zeigen daher eine große Klarheit und Deutlichkeit, ohne Überflüssiges. Durch ihren festen Stand und da sie schlicht, gleichzeitig elegant wirkt, eignet sich die Brasil sowohl für den Mengensatz als auch für den Titelsatz.

Die Ursprünge der Brasil liegen in Georg Saldens kalligrafischen Erfahrungen: Er führte damals das Gästebuch der IHK Essen mit einer ähnlichen Versalschrift. Anfang der 70er Jahre waren fette Headlineschriften stark verbreitet. Eine reine Versalschrift schien Salden jedoch von zu wenig Nutzen, so entwarf er die Brasil anhand eines Probeworts in gemischter Schreibweise und legte dies dem GST-Kreis vor. Die Brasil wurde angenommen und Salden bereitete sie zunächst für den Staromat-Fotosatz auf.

Zwischen 1984 und 1988 wurde die Brasil für den Mengensatz ausgebaut. Es brauchte neue Fettenschnitte, andere Breitenproportionen und eine Zurichtung. Dies machte Georg Salden – wie schon zuvor beim ursprünglichen Entwurf der Brasil für den Titelsatz – selbst in seinem Atelier, in mühevoller Handarbeit und durch stundenlanges Ausprobieren. Selbst für das Kerning machte er, angeregt durch den GST-Partner Hansjörg Stulle, detaillierte Anweisungen, was der Satzqualität zugute kam. 

Auch die Digitalisierung der Brasil in den 90er und frühen 2000er Jahren schließlich nahm Salden selbst vor. Er arbeitete dabei mit UWR zusammen und benutzte ihr Ikarus-System. Die letzte Instanz zur Überprüfung war jedoch auch dabei stets der Ausdruck und nicht der Bildschirm.

Darum ist die Brasil meine Lieblingsschrift:

Ich liebe die Brasil, weil sie sich – hinsichtlich ihrer Klassifikation – nicht so leicht kriegen lässt. Das macht sie wandelbar und funktional, gleichzeitig bewahrt es ihre Eleganz und den prägnanten Eindruck auf ihre Rezipient*innen. Sie zeugt von großem Sachverstand — sowohl ihrer Nutzer*innen — als auch von ihrem Gestalter. Sie ist im Mengensatz angenehm lesbar, präzise und zurückhaltend. Im Titelsatz hingegen besticht sie durch ihre spannende Formgebung und die Prägnanz ihrer Zeichen. Oder wie Georg Salden seine Brasil bei ihrer Einführung beschrieb: „Sie hat ein klares, großes Bild ohne jede Verspieltheit, wirkt elegant aber nicht blutleer, scharf aber nicht kalt.“

Die Brasil besitzt heute 17 Schnitte – von Extraleicht bis Fett, Aufrechte und Kursive, und auch fünf Schnitte Kapitälchen von Extraleicht bis Halbfett. Mit den west- und osteuropäischen Zeichensätzen deckt sie die lateinischen Zeichensysteme ab. Die OpenType-Features umfassen die üblichen vier Ziffernarten – proportionale Versalziffern, diktengleiche Versalziffern, proportionale Mediävalziffern und diktengleiche Mediävalziffern –, außerdem Schwungbuchstaben in den kursiven Schnitten Extraleicht, Leicht und Buch, sowie die automatische Bruchziffernersetzung und sprachspezifische Verwendung typografisch korrekter Zeichen, und echte hoch- und tiefgestellte Ziffern. Ein Schnitt der Brasil kostet in der Einzellizenz knapp 100 Euro und ist über die TypeManufactur erhältlich.

Das war meine Lieblingsschrift, die Brasil von Georg Salden. Mein Name ist Anneke Niehues. Vielen Dank fürs Zuhören.

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